Interview mit BBH-Partner und Rechtsanwalt Dr. Olaf Däuper: Besonderheiten im Leben eines Anwaltes "für" Atomrecht
Die Atomkraftwerke in Deutschland sind abgeschaltet und Deutschland ist auf dem Weg in Richtung Klimaneutralität durch den Ausbau erneuerbarer Energien. Was bleibt einem Anwalt für Atomrecht da noch zu tun?
In diesem Interview zeigt uns BBH-Partner und Rechtsanwalt Dr. Olaf Däuper, dass mit dem Außer-Betrieb-Nehmen der Atomkraftwerke in Deutschland das Thema Atomrecht noch nicht vom Tisch ist, jedenfalls nicht von seinem …
HERR DR. DÄUPER, WAS MACHT EIN ATOMRECHTSEXPERTE NACH DEM ATOMAUSTIEG?
Atomausstieg wird allgemein so verstanden, dass der Betrieb von Atomkraftwerken beendet wurde. Die Technologie an sich ist damit noch nicht abgewickelt. Die Kernkraftwerke stehen noch und müssen jetzt zurückgebaut werden. Außerdem muss der radioaktive Abfall fachgerecht entsorgt werden. Das betrifft den hochradioaktiven Abfall, bei dem ja klar ist, dass er noch Hunderttausende von Jahren radioaktiv strahlen wird. Aber auch mittel und schwach radioaktiver Abfall muss fachgerecht entsorgt werden. Es besteht daher die Aufgabe der Zwischen- und Endlagerung des Abfalls. Bis man da einen passenden Endlagerstandort gefunden hat, das Endlager errichtet und in Betrieb genommen hat, wird es noch Jahrzehnte dauern.
Insofern ist es schon richtig, dass jetzt die ganz großen juristischen Schlachten um den Betrieb von Kernkraftwerken in Deutschland geschlagen wurden. Trotzdem gibt es noch eine Vielzahl von rechtlichen oder auch gesetzgeberischen Herausforderungen und Fragestellungen, die sich weit über meinen eigenen Lebenshorizont hinaus stellen werden.
WELCHE AKTUELLEN ENTWICKLUNGEN IM ATOMRECHT SIND BESONDERS RELEVANT FÜR DIE ZUKUNFT?
Mein Team und ich sind vor allem mit Fragen rund um die Zwischen- und Endlagerung beschäftigt. Dazu gehört, wie die Lagerung überhaupt zu organisieren ist. Zwischenlagerung heißt hierbei, dass man den Müll für eine begrenzte Zeit lagern will. Die hierfür notwendigen Genehmigungen sind auf 40 Jahre befristet.
Die Endlagerung ist hingegen immer „ad ultimo“ – also bis zu jener Zeit, in der der radioaktive Abfall nicht mehr strahlt. Das Standortauswahlgesetz hat in seinem Gesetzeszweck festgelegt, dass das Endlager die Sicherheit vor radioaktiver Strahlung für eine Million Jahre gewährleisten soll – auch und gerade aus gesetzgeberischer Perspektive ein unfassbar langer Zeitraum.
INWIEWEIT BEEINFLUSSEN DER KLIMAWANDEL UND DIE WELTWEITEN ANSTRENGUNGEN ZUR NACHHALTIGKEIT DIE DISKUSSION UND ENTSCHEIDUNGEN IM ZUSAMMENHANG MIT ATOMENERGIE UND ATOMRECHT? WELCHE ROLLE SPIELEN DABEI ERNEUERBARE ENERGIEN UND ALTERNATIVE ENERGIEQUELLEN?
Diese Frage muss man in ihrem historischen Kontext betrachten.
In den 1950er- und 1960er-Jahren hat man weltweit relativ stark auf die friedliche Nutzung der Atomenergie gesetzt, in der Hoffnung dass diese Technologie die Stromerzeugung erleichtert und vergünstigt. Außerdem wurde die Atomenergie als der notwendige Zwischenschritt zur Kernfusion angesehen. Bei dieser werden die Atome miteinander verschmolzen und nicht wie bei der Kernenergie gespalten. Dadurch würde noch mehr Energie frei werden. Das ist hoch spannend, aber bislang nicht wirklich im großtechnischen Maßstab gelungen.
Der radioaktive Abfall als Nebenprodukt und die zahlreichen atomaren Unfälle ließen die Welt dann feststellen, dass die Kernenergie auch gravierende Nachteile mit sich bringt. Unfälle wie in Harrisburg Ende der 1970er-Jahre, Tschernobyl Mitte der 1980er-Jahre bis hin zu Fukushima im Jahr 2011 zeigen, dass sich die drastischen Unfälle eigentlich alle paar Jahre wiederholt haben. Daraufhin gab es in den 1980er-Jahren immer stärker werdende Bewegungen zum Ausstieg aus der Kernenergie. Insbesondere in Deutschland.
Diese Bewegung hat in Deutschland zum ersten Mal seinen Abschluss gefunden in dem rot-grünen Ausstiegsbeschluss von 2000/2002. Die Laufzeit der Kraftwerke wurde dann von Schwarz-Gelb 2010 aber wieder verlängert. Nach dem Unglück in Fukushima wurde der Pfad, der jetzt endgültig beschritten wurde, festgelegt. Einige der älteren Kernkraftwerke wurden im gleichen Jahr 2011 direkt vom Netz genommen. Die übrigen Kernkraftwerke wurden im Laufe der letzten Jahre sukzessive außer Betrieb genommen.
Gleichzeitig wurde auf der internationalen Ebene die Diskussion losgetreten, dass Kernkraft immerhin keinen CO2-Ausstoß hat, anders als die Kohle- oder Gaskraftwerke. Unter dem Aspekt des Klimaschutzes hat das Vorteile. Der französische Strommix ist beispielsweise deswegen so CO2-arm, weil die Franzosen auf die Kernkraft setzten. In Deutschland hat man allerdings trotzdem am Atomausstieg festgehalten.
Und das meines Erachtens zu Recht!
Die Atomenergie ist trotz des Vorteils bei den CO2-Emissionen keine nachhaltige Technologie. Es entsteht nun mal radioaktiver Abfall, der entsorgt werden muss. Es ist jedoch bis heute weltweit noch kein Endlager in Betrieb. Nachhaltigkeit ist nicht nur Klimaschutz oder CO2-Reduktion, sondern hat auch andere Dimensionen. Stichwort Generationengerechtigkeit: Wir wollen den nachfolgenden Generationen doch keine „strahlenden“ Altlasten hinterlassen.
Außerdem kann man dieses CO2-Emissionsproblem in der Stromerzeugung durch die Nutzung erneuerbarer Energien in den Griff kriegen, also durch Photovoltaik, Biomasse und Wind.
Der deutsche Weg ist es, für den Übergang zur Klimaneutralität auf Gaskraftwerke und den Ausbau der erneuerbaren Energien zu setzen. Wenn die CO2-Emissionen dann bei null sein sollen, wird man die Gaskraftwerke mit grünem Wasserstoff oder grünem Methan versorgen. Insbesondere um auch in der „Dunkelflaute“ eine planbare Stromversorgung garantieren zu können.
WAS HALTEN SIE DAVON, DASS IN DER TAXONOMIE DIE ATOMKRAFT ALS „grün“ GILT?
Ich halte das nicht für richtig. Für mich muss eine grüne Taxonomie auch auf nachhaltiges Wirtschaften ausgerichtet sein. Das sehe ich bei der Kernkraft - wie eben bereits erläutert - nicht.
Die Einordnung der Kernkraft als „grün“ ist ein typisch europäischer Kompromiss. Für Frankreich ist es besonders wichtig, dass die Kernkraft in der Taxonomie Erwähnung findet, denn die Kernkraft ist nicht so günstig, wie immer gerne behauptet wird. Aus diesem Grund baut auch keiner in einem liberalisierten Strommarkt Kernkraftwerke, wenn er nicht eine staatliche Mindestvergütung garantiert bekommt, wie man sie auch aus der Anfangszeit des EEG kennt. Lediglich durch das „grüne Siegel“ kann Frankreich gute Konditionen am Kapitalmarkt bekommen und ist somit überhaupt in der Lage, neue Kernkraftwerke zu finanzieren.
WELCHE HERAUSFORDERUNGEN UND CHANCEN SEHEN SIE IN BEZUG AUF DIE SICHERHEIT VON ATOMKRAFTWERKEN IN DER ZUKUNFT?
Hersteller behaupten gerne, dass sie stetig neue technologische Ansätze verfolgen, die eine höhere Sicherheit versprechen. Das mag auch so sein. Aber es war auch immer so, dass das Risiko eines Unfalles gering war. Häufig ist sogar das Risiko Naturereignis oder das Risiko Mensch, also etwa die falsche Bedienung der Anlage, größer als die Risiken der Technik als solche. Und diese Risiken verschwinden ja nicht einfach. Natürlich kann man hoffen, dass die Kraftwerke durch neue technologische Ansätze noch sicherer werden. Aber die allgemeine Lebenserfahrung sagt, dass man eben nie eine hundertprozentige Sicherheit erreichen wird.
Umgekehrt ist der Schadenseintritt hoch, wenn sich ein Risiko realisiert. In einem relativ großen Umkreis um das Kernkraftwerk ist dann alles radioaktiv verseucht. Die Menschen können in diesem Umfeld nicht mehr leben, oder sie sterben im schlimmsten Falle sogar an den Folgen des Unfalls.
Da muss man abwägen, ob dieses Risiko die Sache wert ist. Ich denke, in Deutschland wird es auf absehbare Zeit keinen Neubau von Kernkraftwerken geben. Niemand möchte ein Kernkraftwerk in seiner Nachbarschaft haben, und man sieht auch, dass Kernkraftwerke und auch atomare Endlager häufig in der Nähe von Landesgrenzen liegen. Das sagt doch auch einiges aus.
WELCHE ROLLE SPIELT DIE INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT IM ATOMRECHT, INSBESONDERE VOR DEM HINTERGRUND GLOBALER HERAUSFORDERUNGEN WIE NUKLEARE PROLIFERATION UND SICHERHEIT?
Grundsätzlich machen die Gefahren der Kernkraftnutzung keinen Halt an den Staatsgrenzen. Wenn ein Atomunfall wie 1986 im heutigen Staatsgebiet der Ukraine passiert, merkt man das auch in Deutschland. Steht der Wind ungünstig, würde man es vielleicht sogar stärker in Deutschland als in der Ukraine merken. Insofern ist eine internationale Zusammenarbeit richtig und wichtig. Der Aspekt Proliferation verstärkt das noch weiter. Es ist nun mal ein großes Gefährdungspotenzial, welches in dieser Technologie steckt, und um zu verhindern, dass es missbraucht bzw. nicht friedlich genutzt wird, ist es natürlich umso wichtiger, dass internationale Regeln bestehen..
GLAUBEN SIE, DASS SICH DIE RECHTLICHEN RAHMENBEDINGUNGEN FÜR DEN BETRIEB VON ATOMKRAFTWERKEN IN DEN NÄCHSTEN JAHREN ÄNDERN WERDEN. UND WENN JA, IN WELCHE RICHTUNG?
Die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Betrieb in Deutschenland werden sich nicht ändern, denn der ist jetzt schlichtweg verboten. Alte Kernkraftwerke sind endgültig stillgelegt worden, und neue Kernkraftwerke würde man nicht genehmigt bekommen.
International gibt es Länder, die Kernkraftwerke bauen wollen. Aber es werden dann doch wohl viel weniger gebaut werden, als jetzt noch geplant. Die Investitionskosten sind extrem viel höher als man ursprünglich prognostiziert hatte. Das lässt sich beispielsweise bei Neubauprojekten in Frankreich und Finnland beobachten. In Finnland gibt es das Kernkraftwerk Olkiluoto 3, das ursprünglich drei Milliarden Euro kosten und 2009 in Betrieb gehen sollte. Tatsächlich ist es in 2023 in Betrieb gegangen und hat 11 Milliarden Euro gekostet.
Trotzdem gibt es international betrachtet eine gewisse Renaissance der Atomkraft. Meist allerdings auch nur dann, wenn Mindestvergütungen gezahlt werden.
WIE SIEHT DER TYPISCHE ARBEITSTAG EINES ATOMRECHTLERS AUS? WELCHE FALLGESTALTUNGEN TREIBEN SIE UM?
Das Atomrecht ist ja nur eines meiner Spezialgebiete. Deswegen gibt es viele Tage, an denen ich mich gar nicht mit diesem Rechtsgebiet beschäftige. Wenn meine Kolleg*innen und ich Atomrechtsmandate haben, sind das in der Regel Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren. Dann vertreten wir eine Behörde beispielsweise als Beklagte vor Gericht. Oder wir erstellen Gutachten für Behörden oder Ministerien.
Das Atomrecht ist kein Wirtschaftsbereich, wo sich viele Marktteilnehmer tummeln. Mittlerweile ist die Zwischen- und Endlagerung auch in Bundesgesellschaften überführt worden, deswegen gibt es dann auch nur eine Gesellschaft, die in diesem Aufgabenfeld tätig ist. Insofern muss man sich für eine Seite, die man vertritt, entscheiden.
In der Vergangenheit haben wir zum Thema Atomausstieg verschiedene Bundesländer vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten oder das Wirtschaftsministerium beraten, zum Beispiel zum Thema der Finanzierungsvorsorge bei dem Kernenergieausstieg. Außerdem habe ich Landesregierungen bei der Atomaufsicht unterstützt oder bei Genehmigungsverfahren der Genehmigungsbehörde zur Seite gestanden bzw. im Gerichtsverfahren vertreten.
Der Anteil meiner Tätigkeit im Atomrecht macht im Vergleich zu meiner Gesamttätigkeit vielleicht 15 bis 20 Prozent aus. Ansonsten beschäftigt mich das Energierecht im Allgemeinen. Hier aktuell vor allem die Wärmetransformation und der Ausstieg aus der Gasversorgung. Aber auch Themen wie Wasserstoff oder der Kohleausstieg.
WAS WAR IHRE MOTIVATION, ANWALT FÜR DAS ATOMRECHT ZU WERDEN? WELCHE ASPEKTE WAREN FÜR SIE VON ANFANG AN SPANNEND? UND WELCHE BESONDEREN SKILLS BRAUCHT MAN DAFÜR?
Das Atomrecht kam bei mir eigentlich erst nach ein paar Jahren Berufserfahrung dazu. Anfangs habe ich mich vor allem mit der Energiemarktliberalisierung und der Regulierung der Energienetze auseinandergesetzt. Es zeichnete sich dann um die Bundestagswahl 2009 herum ab, dass der rot-grüne Atomausstieg revidiert werden könnte. Es gab also definitiv Beratungsbedarf.
Die Frage, wie man mit der friedlichen Nutzung von Kernenergie umgeht, war für mich von Beginn an interessant. Als Schüler hat mich der Super-GAU in Tschernobyl sicherlich stark geprägt. Das habe ich im Berufsleben noch mal aufgegriffen, als es die Möglichkeit dazu gab.
Dass das Atomrecht und alles darum herum schon immer sehr politisch polarisiert hat, befeuerte mein Interesse nur noch. Eine der wichtigsten Fähigkeiten als Atomrechtler ist es, sich auch in die politischen Zusammenhänge reinzudenken und zu verstehen, warum die eine Seite dieses oder jenes macht. Das ist häufig auch gar nicht ökonomisch begründbar, sondern eher politisch-ideologisch motiviert. Erst wenn man das verstanden hat, kann man nachvollziehen, warum manche Entwicklungen so stattgefunden haben.