Wasserstoff zwischen Aufbruch und Realität: Die BBH-Jahreskonferenz 2021
Und dennoch sind zahlreiche Detailfragen ungeklärt, die Meinungen zu Einsatzmöglichkeiten, Markthochlauf und Infrastruktur gehen z.T. stark auseinander. „Brücken bauen mit Wasserstoff“ lautete deshalb der Titel der BBH-Jahreskonferenz 2021, die gleichzeitig einen weiteren Meilenstein markierte: 30 Jahre BBH. „Wir sind auch Ihnen allen dankbar, dass Sie mit uns diesen Weg gehen“, betonte Prof. Christian Held, der zusammen mit Prof. Dr. Ines Zenke die Veranstaltung moderierte, in seiner Begrüßung.
Das Fundament der H2-Brücke wurde in Deutschland durch die Verabschiedung der nationalen Wasserstoffstrategie im letzten Jahr gegossen. Seitdem habe sich das Bundesumweltministerium in ein regelrechtes „Wasserstoffressort“ entwickelt, so Bundesumweltministerin Svenja Schulze.
Nach der anfänglichen Aufbruchsstimmung kehrte aber auch Ernüchterung ein, denn den „kohärenten Rahmen“, den die Nationale Wasserstoffstrategie fordert, bleibt sie bislang schuldig. „Wenn Wasserstoff die Brücke in die Treibhausgasneutralität sein soll, brauchen wir die richtigen politischen Signale!“, sagte Prof. Dr. Ines Zenke. Die Gefahr bestehe, dass die Apollo-11-Mission, mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Weg in die Klimaneutralität verglich, zu einem Apollo 13 werde: Houston, wir haben ein Problem!
Die Bundesumweltministerin bleibt positiv und spricht von Wasserstoff als „Window of Opportunity“, zunächst vor allem dort, wo es keine Alternativen gibt, also im industriellen Umfeld, aber auch im See- und Luftverkehr. Die Mehrkosten müssen aber abgesichert sein, sowohl bei den Investitionen als auch bei den Betriebskosten. Gleichzeitig mahnt sie zum Tempo: „Die nächsten 25 Jahre müssen wir doppelt so schnell sein wie die letzten 25 Jahre“, so Schulze mit Blick auf den Klimaschutz. Tempo gelte auch in Hinblick auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien, die für das H2-Label „grün“ konstitutiv sind.
Auch in Europa steht der Wasserstoff auf einem soliden Fundament: der europäischen Wasserstoffstrategie. Für diese ist MdEP Jens Geier der Experte, denn er ist der Berichterstatter des Europaparlaments. Konkrete Weichen für Europa werden jetzt und mit einem rechtlichen Rahmen auch Ende dieses Jahres gestellt, verriet Jens Geier bei der BBH-Jahreskonferenz. Die Zusammenarbeit mit den europäischen Nachbarn sei beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft besonders entscheidend: Strom aus Staaten mit viel Energie und möglichem Überschuss, wie in den Mittelmeerregionen, könne in andere Regionen Europas transportiert werden. Wie das Ganze geregelt wird, hänge auch von der Infrastruktur ab.
Ohne geeignete Infrastruktur wird es keine Wasserstoffversorgung geben. Doch gerade bei dieser zentralen Frage, wie diese reguliert werden soll, scheiden sich die Geister. Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur, bekräftigte auf der BBH-Jahreskonferenz die Sichtweise der obersten Regulierungsbehörde: eine getrennte Regulierung für die Gas- und Wasserstoffwirtschaft. Er befürchtet sonst eine Quersubventionierung der Wasserstoffnetze mit den Gas-Netzentgelten. Eine Umwidmung einzelner Gas- in Wasserstoffnetze „bei Bedarf“ sei allerdings möglich.
Werden mit dieser Agenda nicht alle Gasverteilnetzbetreiber mit einem Schlag abgewickelt, fragt sich Prof. Dr. Ines Zenke? Für die Moderatorin der BBH-Jahreskonferenz ein düsteres Szenario. Homann sieht das nicht so: Für ihn ist wichtig, dass die Infrastruktur nur dort entsteht, wo man sie braucht.
Aber ist das weit genug gedacht? Denn auch wenn Wasserstoff aktuell vor allem in Industrieinsellösungen eine große Rolle spielt, und auch wenn in absehbarer Zukunft Erdgas als Energieträger, insbesondere in der Wärmeversorgung, ihren Platz hat, muss man sich doch die Frage stellen: Was kommt danach? Das sind eben klimaneutrale Gase. Und das „Danach“ wird spätestens 2045 kommen, wie wir nach der Novellierung des Klimaschutzgesetzes wissen. Ist es für eine klimaneutrale Energie- und Wärmeversorgung nicht an der Zeit, jetzt schon die notwendige Infrastruktur und Regulierung anzugehen? Für Prof. Christian Held geht es hier deshalb nicht um den pauschalen Erhalt eines Status Quo für die Gasnetzbetreiber, sondern um eine zukunftssichere Infrastruktur. Ein Anfang wäre die aktuelle EnWG-Novelle, die – so Stand heute – ebenso auf eine getrennte Regulierung für Wasserstoff und Erdgas abzielt.
Eine getrennte Regulierung bedeutet auch eine getrennte Finanzierung der Infrastrukturen Erdgas und Wasserstoff. Die Kosten für den Aufbau einer H2-Infrastruktur seien so aber nicht zu stemmen, betonte MdB und Wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Bernd Westphal. Er forderte eine Agenda der „infrastructure first“, in der Kosten reguliert werden, damit wiederum überhaupt Investitionen getätigt werden.
Auch MdB und Klimapolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Lukas Köhler möchte eine Wasserstoffstrategie mit einer Erdgasstrategie zusammen denken und die Trennung H2/Erdgas auflösen. Und zwar am besten bereits in der aktuellen EnWG-Novelle durch Ersetzen des Begriffs „Erdgas“ durch „Gas“ – was den Anwendungsbereich schlank auf Wasserstoff erweitern würde.
Nun ist leider nicht alles in der Energiepolitik durch ein einfaches copy-paste zu lösen. Wie man mit der EEG-Umlage in Zukunft umgeht, generell in Bezug auf Wasserstoff, aber auch als grundsätzlichen Mechanismus, das gilt es nun zu lösen. Ersteres liegt noch beim aktuellen Gesetzgeber. Letzteres ist bereits in einigen Wahlprogrammen verankert und ganz generell wird es Aufgabe der nächsten Legislatur sein, die Energie- und Klimawende voranzutreiben und bezahlbar zu gestalten. Denn Industrie und Wirtschaft, das soll es weiter in Deutschland geben, fasst Prof. Dr. Ines Zenke zusammen.
Eine Diskussion um den Wirkungsgrad von Wasserstoff hält Andreas Steier, MdB und Berichterstatter für KI u.a. in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion jedenfalls für zweitrangig. Das sei nur dann relevant, wenn die Ressourcen begrenzt sind. Das sei bei Wind und Sonne aber nicht der Fall.
Ein au contraire kam prompt von Dr. Ingrid Nestle, MdB und Sprecherin für Energiewirtschaft der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen: Erneuerbare Energien seien in Deutschland eben nicht unbegrenzt verfügbar, da sie nicht entsprechend ausgebaut werden. Über die zukünftigen Ausbaupfade wird sich jedenfalls auch die nächste Bundesregierung Gedanken machen müssen.
Bei allem notwendigen Blick auf die Zukunft sollte aber eines nicht vergessen werden: Wasserstoffprojekte werden bereits im Hier und Jetzt vielfach umgesetzt. Und zwar nicht nur im industriellen Kontext, sondern auch in kommunalen Modellregionen. Während des Mittagstalks mit BBH-Partner Dr. Martin Altrock und BBHC-Vorstand Marcel Malcher konnten man hier einen guten Überblick über aktuelle Best-Practice-Beispiele bekommen.
Was braucht es aber, um die Brücke in eine breit angelegte Zukunft zu schlagen? Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des VKU sieht den Wasserstoff ganz klar auch in der Wärmeversorgung und der Dezentralität. Er spricht sich dafür aus, die vorhandenen Infrastrukturen weiter zu nutzen. Auch Torsten Maus, Vorsitzender der Geschäftsführung, EWE NETZ GmbH, betont die Rolle in der Wärmeversorgung und plädiert für ein gemischtes System. Der stv. Hauptgeschäftsführer des BDI Holger Lösch sieht die Rolle von Wasserstoff nicht nur als Brückenfunktion, sondern sogar als Treiber für die Klimaneutralität. Das globale Denken im Klimaschutz vermisst er aber in der aktuellen Wasserstoffdiskussion, die nach seiner Auffassung zu kleinteilig geführt wird. „Für die Industrie hat der Aufbau der Wasserstoffwirtschaft eine hohe Bedeutung“, so auch Dr. Peter Feldhaus, Geschäftsführer der Onyx Germany GmbH. Er wünscht sich aber eine offene Herangehenweise an das Thema – auch was die Farben des Wasserstoffs betrifft. Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der dena, beschreibt Wasserstoff zwar als missing link, der dringend benötigt wird. Sagt aber auch: „Wir werden noch auf viele Verzögerungen stoßen, deshalb müssen wir parallel noch viele andere Wege finden, um die Klimaziele sicher zu erreichen.“
Eine schwierige Aufgabe bei der BBH-Jahreskonferenz oblag schließlich Dr. Dörte Fouquet, Partner of Counsel bei BBH, die die vielen verschiedenen Themen des Tages in wenigen Minuten für die Teilnehmer*innen resümmierte. Quo vadis, Hydrogenium? Das wird die Zukunft zeigen müsssen. Ein wichtiger Schritt wird im Rahmen der EnWG-Novelle getan werden. Nur: in welche Richtung?
Becker Büttner Held versteht sich als ein führender Anbieter von Beratungsdienstleistungen für Energie- und Infrastrukturunternehmen und deren Kunden. Den Kern der Mandantschaft bilden zahlreiche Energie- und Versorgungsunternehmen, vor allem Stadtwerke, Kommunen und Gebietskörperschaften, Industrieunternehmen sowie internationale Konzerne. Diese und viele Unternehmen und Institutionen aus anderen Bereichen unterstützt BBH sowohl in allen Rechtsfragen als auch betriebswirtschaftlich und strategisch.
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