Investitionssicherheit, CO2-Bepreisung und Datenschutz für die Industrie 2030: Parlamentarischer Abend mit ganzheitlichem Blick
Ganze 71 Mal wird der Begriff „Digitalisierung“ im Koalitionsvertrag erwähnt, erläuterte BBH-Partnerin Dr. Ines Zenke zu Beginn des Parlamentarischen Abends am 23. April in Berlin. Im frisch renovierten Kaisersaal der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft hatten sich über 220 Vertreter der Industrie, Energiewirtschaft und Politik zusammengefunden, um über die Herausforderungen der Digital- und Energiewende zu diskutieren. Aber wohin führt dieser digitale Wandel und wie wird die erforderliche Planungssicherheit hergestellt? Davon liest man im Koalitionsvertrag (zu) wenig. „Rechts- und Investitionssicherheit müssen wieder selbstverständlich sein“, so Zenke weiter. „Wer eine gesetzliche Aufgabe erfüllt, muss einen angemessenen Ertrag erwirtschaften können. Und wer einem gesetzlich gewollten Anreiz folgt, der darf nicht morgen vor einem „stranded investment“ stehen.“
Auch MdB und Schirmherr des Parlamentarischen Abends Bernd Westphal (SPD) stellte fest: „Gute Wirtschaftspolitik setzt stabile Leitplanken.“ Damit machte er deutlich, dass die Rahmenbedingungen für die Planungssicherheit der Industrie Aufgabe der neuen Bundesregierung ist. Er betonte aber gleichzeitig die soziale Verantwortung und die gesellschaftliche Akzeptanz, die im Rahmen der Digital- und Energiewende wichtig sei.
Industrie 2030, so der Titel des Parlamentarischen Abends: Und mit dem Aluminiumhersteller TRIMET hatte man einen Großverbraucher mit riesigem Strom-Appetit auf dem Podium: 1,3 % des jährlichen Strombedarfs in Deutschland braucht TRIMET, um Aluminium zu produzieren und zu liefern. Für den TRIMET-Vorstandsvorsitzenden Dr. Martin Iffert greift der reine Verbrauchs-Aspekt aber zu kurz: Aluminium-Hütten würden sich immer mehr als virtuelle Stromspeicher etablieren, die dadurch eine wichtige Rolle im Energiesystem und für die Netzstabilität einnehmen. Sein Anspruch an die deutsche Industrie ist es, „immer einen Schritt nach vorne zu denken“: Die Industrie als Gestalter der Digital- und Energiewende.
Tatsächlich ist zumindest bei der Digitalisierung noch Luft nach oben: Laut Digitalisierungs-Gradmesser DESI liegt Deutschland europaweit auf Platz 11. Dr. Ralph Müller, Vorstand der Deutschen Postbank, versteht das Ergebnis als Auftrag: Deutschland müsse hier in den nächsten Jahren unbedingt aufholen. „Die Mittelständler haben sich auf den Weg in die Digitalisierung gemacht“, so Müller. Allerdings brauchen sie eine digitale Infrastruktur und Planungssicherheit. Der Glasfaseranteil in Deutschland etwa liege bei gerade einmal 2 %, damit sei Deutschland in dem Bereich ein Entwicklungsland. Die Mehrheit der Industrieländer würden außerdem mehr in die digitale Bildung investieren. Statt 11 Mrd. Euro bis 2021 seien 30 Mrd. Euro jährlich notwendig, um zu den anderen Industrieländern aufzuschließen. Auch der Zugang ausländischer Fachkräfte zum deutschen Arbeitsmarkt müsse weiter erleichtert werden. Das alles seien letztendlich Wettbewerbsnachteile für deutsche mittelständische Unternehmen.
Investitionen in digitale Projekte seien grundsätzlich für Firmen schwierig, da ihnen ohne materielle Sicherungsmechanismen herkömmliche Finanzierungswege oftmals verwehrt bleiben. Umso wichtiger sei die Finanzierung über Venture Capital von Investoren. Aber auch diese Möglichkeit verebbt nicht selten wegen des mangelnden Risikokapitals deutscher Firmen. Die Konsequenz: Start-Ups würden mit Geld aus dem Ausland finanziert.
Auch MdB Prof. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU)wünscht sich eine stärker risikoorientierte Unternehmenskultur; gleichzeitig ist ihm bewusst, dass eine Überschuldung die Unternehmensgründung häufig hemmt. Man müsse sich daher die Frage stellen, wie man das Know how, das jemand in das Unternehmen einbringt, adäquat bewerten kann. Jetzt sei die Zeit für Investitionen da, da ist sich Bernd Westphal sicher. Ein niedriges Zinsniveau bei gleichzeitig hohem Steueraufkommen seien dafür die idealen Rahmenbedingungen.
Es gebe keine 100 %-ige Sicherheit für Investitionen, sagte MdB Ralph Lenkert (Die Linke.). Wer Infrastrukturen braucht, der müsse sie auch mit finanzieren. Industrierabatte könne es nur mit Gegenleistungen geben, ausschließlich sinnvoller Energieeinsatz gehöre gefördert. Bei TRIMET könne man sehen, dass die Bereitschaft zu einem solchen Ausgleich zu erkennen sei. Auch MdB Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen) sieht das Potential für in Aluminium gespeicherten Strom. Man müsse sich nun die Frage stellen: „Wie bekommen wir das hin?“.
Dr. Patrick Graichen warnte in seinem Impulsvortrag vor einem business as usual bei der Energiewende: „Ein einfach so weiter verbietet sich“, so der Direktor des Think Tanks Agora Energiewende, angesichts vier zentraler Herausforderungen. Im Bereich Klimapolitik führe sich momentan noch niemand so richtig vor Augen, welche Anforderungen tatsächlich notwendig sind, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Der größte Teil der Emissionen liege im Energiebereich. Umgerechnet auf die unterschiedlichen Energieträger würde das laut Koalitionsvertrag 50 % weniger Kohle, 50 % weniger Öl und 20 % weniger Gas bedeuten. Gerade für Öl fehle aktuell noch jegliche energiepolitische Diskussion. Die industriepolitischen Herausforderungen sind mit technologischen Herausforderungen verknüpft: Wie schaffen wir es, für Windkraft und PV ein internationales Geschäft zu machen und die Weltmärkte für deutsche Unternehmen zu sichern? Graichen bedauert, dass sich die vier Herausforderungen regelmäßig gegeneinander ausspielen und sich gegenseitig lähmen. Es existiere ein „organisiertes Gegeneinander“, so der Agora-Direktor.
Einen stärkeren Fokus auf konkrete Maßnahmen, mit denen man die Klimaziele erreichen möchte, wurde aus dem Publikum gefordert. Damit war man schnell beim Thema CO2-Bepreisung. Es könne nicht sein, dass für die Erneuerbaren Energien eine Vielzahl von Bepreisungen und Umlagen gelten, während die fossilen Energieträger nicht bepreist werden. Man müsse im Bundestag deshalb unbedingt über einen CO2-Preis und eine Kostengerechtigkeit gemessen am CO2-Ausstoß reden. Der Notwendigkeit einer Debatte stimmten die Abgeordneten zu.
Wie breit das Thema Digital- und Energiewende ist, zeigte sich nicht zuletzt an dem thematischen Schlenker ins Datenschutzrecht. Über die zukünftigen Anforderungen an den Datenschutz gab es sehr unterschiedliche Auffassungen. MdB Prof. Dr.-Ing. Martin Neumann (FDP) stellte sich auf die Seite einer datenschutzgerechten Digitalisierung, in der der Datenschutz nicht als Bremser auftreten dürfe. Ralph Lenkert warnte vor einem zahnlosen Datenschutzrecht-Tiger, stellte aber gleichzeitig zur Disposition, ob denn wirklich eine flächendeckende Datenerhebung notwendig sei. So hält er Smart Meter bei Privatpersonen für überflüssig. Prof. Dr. Heribert Hirte lobte die Datenschutz-Grundverordnung als guten Ansatz, sieht darin aber noch keine Lösung für die Datenschutz-Problematik. Der individualistische Grundgedanke würde die Verwendung von Daten-Massen z.B. durch Facebook nicht berücksichtigen; auch über das kollektive Interesse von Daten z.B. im Bereich des Gesundheitswesens müsse man noch diskutieren. Auf der EU-Eben werde über eine Digitalsteuer für Facebook und Co. gesprochen. Man müsse sich aber sehr genau überlegen, ob man das tatsächlich möchte und im Zuge dessen über die möglichen Konsequenzen für andere Industrien nachdenken.
Und damit neigte sich der offizielle Teil des spannenden und diskussionsfreudigen Abends im politischen Berlin dem Ende. Im Rahmen des anschließenden Empfangs nutzten die Gäste die Gelegenheit, den ein oder anderen Diskussionsfaden in kleinem Kreis fortzuführen. Themen standen ja genug zur Auswahl.
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