Infrastruktur von morgen gestalten – Die BBH-Jahreskonferenz 2019
„Infrastruktur“ – das ist kein Begriff, dessen Bedeutungsumfang sich intuitiv erschließt. Er ist notwendigerweise abstrakt, denn seine Funktion liegt darin, unterschiedliche Welten miteinander zu verbinden: Energie, Mobilität, Klima und Wohnen. Er vereint diese Welten unter seinem Dach, ohne diese als abschließend zu begreifen, und erlaubt eine neue, ganzheitliche Perspektive auf verschiedene Wirtschaftsbereiche. Zusammen denken, was zusammen gehört. Mit diesem Anspruch veranstaltete BBH auch ihre Jahreskonferenz 2019 „Die Infrastruktur von morgen“ am 11. September in Berlin, die von den BBH-Partnern Prof. Dr. Ines Zenke und Prof. Christian Held moderiert wurde.
Zu Beginn wies Ines Zenke darauf hin, dass der Begriff „Infrastruktur“ – in unterschiedlichen Kontexten und Wortzusammensetzungen – 74 Mal im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode auftaucht. Auch von einer „Fortsetzung des Investitionshochlaufs für die Infrastruktur“ ist die Rede. „Der Akzent ist richtig gesetzt“, so Zenke. „Legen wir uns also wieder hin? Angesichts der wirtschaftlichen Realität wohl kaum.“
Infrastruktur als Teil der Daseinsvorsorge
„Infrastruktur ist Teil der Daseinsvorsorge“, stellte der Staats- und Kultusminister des Landes Sachsen-Anhalt Rainer Robra im 1. Schlaglicht der Veranstaltung klar. Das bedeutet auch, dass hier keine Bevölkerungsteile abgehängt werden dürfen, so Robra. Dabei werde in Zukunft die Infrastruktur weniger lokal definiert sein, sondern eine internationale Dimension bekommen. Politik und Planer brauchen allerdings besonders in der Energiewelt einen langen Atem angesichts des stagnierenden Ausbaus der Erneuerbaren Energien. Das betrifft auch das Land Sachsen-Anhalt, in dem immerhin 2.830 Windenergieanlagen in Betrieb sind und somit 33% des Stroms aus Windenergie produziert wird.
Energiewirtschaft im Wandel
Auch Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur, stellte fest: In der letzten Zeit haben die Erneuerbaren Energien keine gute Entwicklung genommen: Die Ausschreibungen sind massiv unterzeichnet, das Preisniveau stagniert, es fehlt der Wettbewerb. Wenn wir das 65%-Ziel erreichen wollen, dürfen sich die Ausschreibungen so nicht wiederholen: Es muss gehandelt werden. Für die Synchronisation zwischen Erneuerbaren Energien und Netzausbau sei ein Ausbaustopp für Erneuerbare jedenfalls keine Lösung. Zielführender seien da eine bessere Regionalsteuerung durch das Referenzertragsmodell und möglicherweise Baukostenzuschüsse.
Gleichzeitig machte Homann im 2. Schlaglicht der BBH-Konferenz deutlich, dass der Netzausbau unbedingt erfolgen muss – Erneuerbare Energien werden aktuell nicht deswegen abgeriegelt, weil keine Nachfrage da ist, sondern weil der Strom nicht transportiert werden kann und es deshalb zu Überlastungen im Stromnetz kommt. Für die 5.400 GWh an Einspeisemanagement im Jahr liegt die Lösung im Netzausbau und der Intergration der Erneuerbaren Energien in den Redispatch. Bei der Sektorkopplung bleibt Homann skeptisch, da diese eben keine wirkliche Alternative zum Netzausbau sei – der Strom muss ja gerade in den Süden. Überkapazitäten an Strom gebe es aktuell nicht, davon könne man erst bei mehr als 65% Anteil Erneuerbarer Energien sprechen. Die Umwandlung des Stroms und dessen Verbrauch im Norden helfe an dieser Stelle also im Moment nicht weiter.
In der anschließenden Podiumsdiskussion mit dem Fokus auf Energie drehte sich viel um die Frage, welche Rolle der Wasserstoff in Zukunft spielen wird. „Sollte man den Wasserstoff z.B. auch im EnWG berücksichtigen?“, fragte Prof. Christian Held. MdB Bernd Westphal ist sich sicher, dass sich im Wettstreit der Innovationen die beste Technologie durchsetzen wird; um ein investitionsfreundliches Umfeld zu schaffen, müsse da möglicherweise der Gesetzgeber aber noch mal ran. Jedenfalls sollte man diesen Bereich nicht den Gerichten zur Entscheidung überlassen. Die infrastrukturellen Voraussetzungen sieht Stefan Kapferer, Hauptgeschäftsführer des BDEW, zu wenig thematisiert in der politischen Diskussion. Der Kohleausstieg sei machbar, aber bitte mit dem Fokus auf die Infrastruktur. Schließlich brauche man auch für den Fall, dass PtX-Produkte in anderen Ländern hergestellt werden, in Deutschland die nötige Infrastruktur für den Transport. Dr. Frank Brinkmann, Vorstandsvorsitzender der ENSO Energie Sachsen Ost AG, sprach in diesem Zusammenhang auch von einem antizipativen Denken, das bei der Infrastruktur notwendig ist.
Um das Stromsystem zu flexibilisieren, werden Speicheroptionen immer wichtiger. Im Moment werden Speicher allerdings so gut wie gar nicht gebaut, weil sie wirtschaftlich nicht attraktiv sind. „Wo bleiben die Investitionen in die Speicher?“, fragte deshalb Prof. Christian Held. Jochen Homann hingegen pochte auf ein Level-Playing-Field mit anderen Flexibilitäts-Optionen, in das sich Speicher einreihen müssen.
Klimaschutz: Chance und Treiber der Wirtschaft
Über Klimaschutz als Treiber der Infrastruktur von morgen sprach Bundesumweltministerin Svenja Schulze. „Infrastruktur als das Herz-Kreislauf-System eines Landes ist die Basis für unseren wirtschaftlichen Erfolg. Wir werden nur dann Exportweltmeister bleiben, wenn wir die Dinge der Zukunft produzieren“, sagte Schulze. Dafür seien Investitions- und Planungssicherheit für einen langen Zeitraum notwendig. Um dies zu erreichen, habe sie ein Klimaschutzgesetz vorgelegt. Die Ziele seien klar – nun müssen die einzelnen Ressorts darlegen, wie sie in den jeweiligen Ressorts Emissionen einsparen wollen. Dieses Maßnahmenpaket ist am 20. September fällig. Eine CO2-Lösung müsse unbürokratisch und schnell einführbar sowie sozial verträglich sein. Grundsätzlich spreche viel für die Integration der bisherigen Non-ETS-Bereiche in den europäischen Emissionshandel. Allerdings werde dies nicht kurzfristig umzusetzen sein. Ein nationales System wird als Alternative diskutiert. Aber wo bleibt eigentlich der Handel, wenn sowohl die Ober- und Untergrenze als auch der Preis selbst vorher festgesetzt werden, fragte Schulze in die Runde.
Die Klimaneutralität sei das Ziel der Bundesregierung; dafür würden auch die passenden Infrastrukturen benötigt werden. Das dies einen großen Umbau erfordert, dessen ist sich die Bundesumweltministerin bewusst. Sie begreift dies aber vor allem als große Chance, die schließlich allen nutzt. In einem weiteren Schlaglicht pochte MdB und stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Oliver Krischer auf Tempo. Es müsse nun endlich konkret werden mit Klimaschutz und Kohleausstieg. Es gebe Unternehmen, die sind heute schon weiter als die Bundesregierung in der Umsetzung konkreter Maßnahmen. Dabei betonte er, dass Klimaschutz, Wirtschaft und Industrie eben kein Widerspruch sind.
Fördern und Fordern in der Mobilität
Der Botschafter des Königreichs Norwegen Seine Exzellenz Petter Olberg bestätigte das in seinem Schlaglicht am Beispiel Norwegen. Norwegen habe einen sehr hohen Stromverbrauch, da in der Regel mit Strom geheizt wird. Dabei stammen 98% des Stroms aus Wasserkraft. Öl und Gas sind für Norwegen weitestgehend Exportgüter. Potentiale, die Treibhausgasemissionen weiter zu senken, liegen im Verkehrs- und Transportsektor, so Olberg. E-Fahrzeuge werden seit einigen Jahren in Norwegen massiv gefördert, indem sie sowohl steuer- als auch mautbefreit sind. Die Nachfrage nach E-Autos ist infolgedessen sehr gestiegen, so dass mittlerweile 50% der Neuzulassungen E-Fahrzeuge sind. Beim Thema Wasserstoff gehe es aber deutlich langsamer voran, auch weil die Infrastruktur noch fehlt.
Dies führte in die abschließende Podiumsdiskussion zum Thema Mobilität. Inwiefern kann Deutschland von den Norwegern lernen? Push and Pull im Sinne eines Bonus-Malus-Systems gehören zusammen, davon ist Folkert Kiepe, Beigeordneter des Deutschen Städtetags a.D. und Partner of Counsel bei BBH, überzeugt. Die bisherige Förderung von E-Fahrzeugen sei praktisch wirkungslos, so Christian Hochfeld, Direktor der Agora Verkehrswende. Ohne Investitionen läuft aber auch im Verkehrssektor nichts. Mehr Geld für die Ladeinfrastruktur forderte Christian Hochfeld. Das könnte wiederum von einem neu zu konzipierenden Mautsystem kommen. Skeptisch zeigte sich Hochfeld gegenüber eines 365-Euro-Tickets, da dies nicht die realen Kosten im ÖPNV widerspiegeln würde, sondern vorgaukle, der Transport koste nichts. Dabei stehe der ÖPNV aber mit dem Rücken zur Wand. Die finanzielle Grundlage für den Ausbau und die Sanierung des ÖPNV fehle derzeit völlig, beklagte auch Kiepe. Dabei gilt generell: Klimaschutz ohne Verzicht gibt es nicht, betonte Prof. Dr. Carsten Kühl, Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Urbanistik.
„Jedes Land muss seinen eigenen Weg finden“, so fasste S.E. Petter Olberg die BBH-Konferenz zusammen. Das impliziert zum einen die Freiheit und Souveränität eines Staates, zum anderen aber auch einen Impetus: Einen Weg zu finden, das ist die Pflicht eines jeden Landes. Das gilt auch für die Bundesregierung, für den 20. September und darüber hinaus.
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